Bundesteilhabegesetz (BTHG)

Recht der Eingliederungshilfe – Änderungen durch das BTHG

 

Das Recht der Eingliederungshilfe wurde durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in weiten Teilen zum 1. Januar 2020 neu geregelt. Es ist nicht mehr Bestandteil der Sozialhilfe im Sozialgesetzbuch 12 (SGB XII). Es ist jetzt in Teil 2 des Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) zu finden. Eine der wesentlichsten Änderungen betrifft die Trennung der Fachleistung der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden Leistungen. Hinzu kommen wichtige Änderungen durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz. Auch diese Änderungen traten zum 1. Januar 2020 in Kraft.

 

1.      Wer bekommt Leistungen der Eingliederungshilfe?

 

Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit eingeschränkt sind, an der Gesellschaft teilzuhaben (wesentliche Behinderung) oder die von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind. Bei der Prüfung, ob eine geistige Behinderung wesentlich ist, gilt: Es kommt für die Beurteilung nicht entscheidend auf den Umfang der Beeinträchtigung an, sondern darauf, wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabe auswirkt. Deshalb darf auch nicht einfach auf den Grad der Behinderung oder den ermittelten Intelligenzquotienten (IQ) abgestellt werden. Allerdings dient der IQ in der Praxis oft dazu, zur Vereinfachung bestimmte Annahmen zu treffen. Beispielsweise wird in der Praxis bei einem IQ von unter 50 regelmäßig von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Teilhabemöglichkeiten und damit einer wesentlichen geistigen Behinderung ausgegangen. Bis spätestens 01.01.2023 sollen die Regelungen zum leistungsberechtigten Personenkreis neu formuliert werden. Hintergrund ist, dass die aktuellen Regelungen sprachlich als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden.

 

2.      Welche Leistungen gibt es in der Eingliederungshilfe?

 

Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind sehr vielfältig. Bisher waren die Regelungen in verschiedenen Gesetzen zu finden, was sehr unübersichtlich war. Seit dem 1. Januar 2020 sind die Regelungen nun in Teil 2 des SGB IX zusammengefasst und in vier Leistungsgruppen aufgeteilt.

 

2.1. Leistungen zur Sozialen Teilhabe

Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören die Leistungen zur Sozialen Teilhabe. Sie sind in den § 113 bis § 116 SGB IX geregelt (Kapitel 6), die wiederum auf die § 77 bis § 84 SGB IX verweisen.

Leistungen zur Sozialen Teilhabe stellen die behinderungsbedingt notwendige Unterstützung im sozialen Bereich sicher. Zu ihnen gehören etwa die Unterstützung beim Wohnen und in der Freizeit sowie heilpädagogische Leistungen und Leistungen zur Mobilität.

Von besonderer Bedeutung ist der neue § 78 SGB IX, in dem die Assistenzleistungen zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags geregelt sind.

Neu ist ab 01.01.2020 eine Regelung zum sogenannten „Poolen“. Gemeint sind Fälle, in denen Menschen mit Behinderung die gleiche Leistung zur gleichen Zeit und am gleichen Ort benötigen, weshalb die Leistung für zwei oder mehr Menschen mit Behinderung gemeinsam erbracht werden kann. Voraussetzung ist, dass eine „gepoolte“ Leistung die jeweiligen Bedarfe deckt und für den Menschen mit Behinderung zumutbar ist. In § 116 SGB IX ist geregelt, welche Leistungen „gepoolt“ werden dürfen. Erlaubt ist das z. B. bei Assistenzleistungen, Leistungen zur Beförderung (Beförderungsdienst) und heilpädagogischen Leistungen. Andere als die dort genannten Leistungen dürfen nicht „gepoolt“ werden.

 

Beispiel: In einer Wohngemeinschaft wohnen zwei Menschen mit Behinderung. Sie benötigen unter anderem Assistenz bei der Haushaltsführung, z. B. für den Einkauf und das Aufräumen. Die Vorschrift zum Poolen von Leistungen ermöglicht es, dass die beiden Menschen mit Behinderung von nur einer Assistenzkraft unterstützt werden, wenn ihr Unterstützungsbedarf das zulässt und es für sie zumutbar ist.

 

2.2. Leistungen zur Teilhabe an Bildung

Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen daneben Leistungen zur Teilhabe an Bildung. Diese sind in § 112 SGB IX geregelt. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erhalten hierüber die aufgrund ihrer Behinderung notwendige Unterstützung in der Schule, bei der Ausbildung oder im Studium.

Wichtigste Leistungen für Kinder mit geistiger Behinderung ist die Schulbegleitung. Zu dieser Leistung gehört ab 1. Januar 2020 auch die Unterstützung am Nachmittag in einer Offenen Ganztagsschule. Neu ist auch hier eine Regelung zum sogenannten „Poolen“. Das bedeutet, dass eine Leistung von zwei Kindern/Jugendlichen mit Behinderung gemeinsam in Anspruch genommen wird. Beispiel: Zwei Kinder mit Behinderung besuchen die gleiche Klasse einer Grundschule. Eine Schulbegleiter*in kann beide Kinder gemeinsam im Unterricht unterstützen, wenn der Unterstützungsbedarf der Kinder das zulässt und es für beide zumutbar ist.

Weitere wichtigen Informationen finden Sie hier:

https://www.lebenshilfe.de/informieren/kinder/schule-und-schulbegleitung-fuer-kinder-mit-behinderung/

 

2.3. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören darüber hinaus auch Leistungen zur Beschäftigung (Teilhabe am Arbeitsleben). Diese sind in § 111 SGB IX geregelt.

Neben Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen sind seit 2018 auch das Budget für Arbeit und Leistungen bei anderen Leistungsanbietern vorgesehen.

Ab 1. Januar 2020 können junge Menschen mit Behinderung auch ein Budget für Ausbildung in Anspruch nehmen, um mit der notwendigen Assistenz eine Berufsausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu absolvieren. Für diese Leistung ist jedoch nicht der Träger der Eingliederungshilfe, sondern die Bundesagentur für Arbeit zuständig. Deshalb ist diese Leistung nicht in § 111 SGB IX aufgeführt, sondern in § 61a SGB IX.

Weitere wichtigen Informationen finden Sie hier:

https://www.lebenshilfe.de/informieren/arbeiten/arbeitsmoeglichkeiten/

 

2.4.  Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

Das Recht der Eingliederungshilfe sieht außerdem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vor. Zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation gehören beispielsweise die Frühförderung und die Gewährung von Heil-­ und Hilfsmitteln.

Frühförderung ist in aller Regel die erste Leistung der Eingliederungshilfe, die ein Kind mit Behinderung erhält. Sie stellt zeitnah eine bestmögliche Unterstützung des Kindes und seiner Familie sicher. Leistungen der Frühförderung stehen Kindern bis zur Einschulung zu.

Weitere Informationen zur Frühförderung finden Sie hier:

https://www.lebenshilfe.de/informieren/kinder/fruehfoerderung/

 

3.      Was bedeutet Wunsch- und Wahlrecht?

 

Ein wichtiger Grundsatz im Recht der Eingliederungshilfe ist das Wunsch­ und Wahlrecht, das in § 104 Abs. 2 und 3 SGB IX geregelt ist. Die Vorstellung des Menschen mit Behinderung zur Gestaltung der Leistung soll bei der Entscheidung über die Leistung berücksichtigt werden.

Das Wunsch­ und Wahlrecht greift dann, wenn ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe dem Grunde nach besteht (»Ob«), jedoch mehrere geeignete Alternativen denkbar sind (»Wie«). Das ist z. B. der Fall, wenn verschiedene Maßnahmen in Betracht kommen.

Nach § 104 SGB IX muss Wünschen des Leistungsberechtigten entsprochen werden, wenn diese angemessen sind.

Weitere Informationen finden Sie hier:

https://www.lebenshilfe.de/eingliederungshilfe-und-das-bundesteilhabegesetz/

 

4. Was steckt hinter der „Trennung der Leistungen“?

 

Durch das BTHG wird das System der Eingliederungshilfe zum 1. Januar 2020 grundlegend umgestaltet. Bisher unterschied die Eingliederungshilfe zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen.

Der entscheidende Unterschied bestand darin, dass teilstationäre und stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe neben der eigentlichen Eingliederungshilfeleistung in Form der Unterstützung (z. B. Assistenz) auch den Lebensunterhalt sicherstellten (Komplexleistung).

Verpflegung und Unterkunft waren bei stationären Leistungen bisher Bestandteil der von der Wohneinrichtung erbrachten und vom Sozialhilfeträger finanzierten Eingliederungshilfeleistung. Der Mensch mit Behinderung, der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen hat, erhielt deshalb bisher Regelsatz und Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht direkt ausgezahlt. Er bekam lediglich einen Barbetrag (Taschengeld) und die Kleiderpauschale.

Ab 1. Januar 2020 sind die Leistungen der Eingliederungshilfe nun klar von den existenzsichernden Leistungen getrennt. Sie umfassen jetzt nur noch die Fachleistungen der Eingliederungshilfe (z. B. Assistenzleistung), nicht mehr existenzsichernde Anteile.

Weitere Informationen finden Sie hier:

https://www.lebenshilfe.de/eingliederungshilfe-und-das-bundesteilhabegesetz/

 

5. Wie bekomme ich Leistungen der Eingliederungshilfe?

 

Um möglichst zügig alle erforderlichen Leistungen der Eingliederungshilfe zu erhalten, ist es wichtig zu wissen, an wen man sich wenden muss und welche Verfahrensregelungen zu beachten sind.

Weitere Informationen finden Sie hier:

https://www.lebenshilfe.de/eingliederungshilfe-und-das-bundesteilhabegesetz/

 

6. Wie ist die Kostenbeteiligung bei Leistungen der Eingliederungshilfe?

 

Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach wie vor abhängig von Einkommen und Vermögen. Allerdings hat sich die Kostenbeteiligung durch das BTHG zum 1. Januar 2020 erheblich verändert. Insbesondere ist die Einkommensbeteiligung neu geregelt und ein deutlich höherer Vermögensfreibetrag eingeführt worden. Darüber hinaus wird nicht mehr auf das Einkommen und Vermögen der jeweiligen Partner*in abgestellt. Damit kommt es jetzt nur noch auf das Einkommen und Vermögen des Menschen mit Behinderung an. Wenn die leistungsberechtigte Person allerdings minderjährig ist und mit seinen Eltern bzw. einem Elternteil in einem Haushalt lebt, wird nach wie vor auch auf das Einkommen und Vermögen der Eltern bzw. des Elternteils abgestellt. Allerdings müssen sich Menschen mit Behinderung bzw. die einstandspflichtigen Eltern eines Minderjährigen nicht an jeder Leistung der Eingliederungshilfe finanziell beteiligen. Der Gesetzgeber hat bestimmte Leistungen festgelegt, die ohne Kostenbeteiligung gewährt werden. Die Heranziehung von Einkommen und Vermögen unterscheidet sich daher noch immer je nach der Art der Eingliederungshilfeleistung.

Weitere Informationen finden Sie hier:

https://www.lebenshilfe.de/eingliederungshilfe-und-das-bundesteilhabegesetz/

 

7. Müssen Eltern volljähriger Kinder mit Behinderung einen Unterhaltsbeitrag für die Leistungen der Eingliederungshilfe zahlen?

 

Bisher mussten Eltern volljähriger Kinder mit Behinderung für die Leistungen der Eingliederungshilfe, die ihr Kind bezieht, einen Unterhaltsbeitrag zahlen. Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz wird dieser Unterhaltsbeitrag nun vollständig gestrichen – unabhängig vom Jahreseinkommen der Eltern. Eltern müssen daher ab 2020 keinen Beitrag mehr zu den Eingliederungshilfeleistungen ihres erwachsenen Kindes leisten.

Hinweis: Wenn das volljährige Kind mit Behinderung neben den Leistungen der Eingliederungshilfe auch Leistungen nach dem SGB XII wie Grundsicherung, Hilfe zum Lebensunterhalt oder Hilfe zur Pflege bekommt, müssen Eltern für diese SGB XII-Leistungen nur noch einen Unterhaltsbeitrag von 28,43 Euro bzw. 36,97 Euro zahlen, wenn ihr Jahreseinkommen jeweils über 100.000 Euro liegt (§ 94 Abs. 1a und Abs. 2 SGB XII). Liegt ihr Jahreseinkommen jeweils darunter, müssen sie auch für diese Leistungen keinen Unterhaltsbeitrag mehr leisten.

Wichtig: In einigen Landkreisen werden Eltern junger volljähriger Kinder mit Behinderung, die in einem Internat oder in einer sonstigen Wohneinrichtung leben, die konzeptionell auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet ist, aufgrund von § 142 Absatz 3 SGB IX zu den Kosten des Lebensunterhalts herangezogen. Wir halten das für rechtswidrig. Der bvkm hat auf seiner Homepage einen Musterwiderspruch zur Verfügung gestellt. Sie finden es hier:

https://bvkm.de/ratgeber/eingliederungshilfe-bthg/

Weitere Informationen finden Sie hier:

https://www.lebenshilfe.de/eingliederungshilfe-und-das-bundesteilhabegesetz/

 


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Neben der Antragstellung wird häufig ein Förderbericht von der Konduktorin/ vom Konduktor verlangt. Es ist sehr wichtig, dass die Förderziele hinsichtlich der Teilhabe, Selbstständigkeit und Integration bzw. basierend auf ICF formuliert werden. Hierfür empfehlen wir die folgende Literatur: